Die Digitalisierung der Pharmabranche: Dominik Saner im Experteninterview über den Weg zur Online-Apotheke in der Schweiz
14.07.2022 18:52

Die Digitalisierung der Pharmabranche: Dominik Saner im Experteninterview über den Weg zur Online-Apotheke in der Schweiz

Die Digitalisierung wurde in den vergangenen Jahren zu einem der präsentesten Themen für Unternehmen. Wenig überraschend blieben auch Dienstleister im Gesundheitswesen davon nicht unberührt; ganz im Gegenteil, denn die Pandemie galt hier als wichtiger Treiber.  Wie es in der Schweiz um die Digitalisierung in Apotheken steht, verrät uns Dominik Saner im Gespräch

Seit 1993 als Apotheker tätig, verfolgt unser Experte gemeinsam mit seinem Sohn einen ganzheitlichen Ansatz in ihren Apotheken, bei dem der Mensch und seine Gesundheit im Mittelpunkt stehen. Klassisch pharmazeutische Dienstleistungen gemäß der Schulmedizin werden um Methoden aus der Komplementärmedizin ergänzt. Genauso wichtig, wie Ergänzungen und Weiterbildungen der eigenen medizinischen Ausbildung sind für Saner die Entwicklungen im Bereich Digitalisierung in der Pharmabranche - insbesondere für Apotheken.

Wie steht es um Online-Apotheken und Digitalisierung allgemein und wie kann die Entwicklung der vergangenen Jahre mit Mehrwert für Patient:innen in die Zukunft getragen werden? Darüber möchten wir von unserem Experten mehr erfahren.

Wie es um die Digitalisierung in Apotheken steht

“Nun, grundsätzlich sind medizinische Dienstleister sehr offen für Prozesse in der Digitalisierung. Zeitgleich muss man aber auch festhalten, dass wir in der Schweiz dennoch unter den Apotheken Aufholbedarf haben, auch wenn die Pandemie seit 2020 als starker Katalysator wirkte. Die Prozesse, die wir derzeit in Apotheken vorfinden, lassen sich eher mit dem Begriff der Automatisierung beschreiben. Von einer durchgängigen Digitalisierung sind wir hier noch einige Schritte entfernt

Auch strukturell gibt es in der Branche einige Schwächen, ich denke hier speziell an die Vernetzung mit anderen medizinischen Dienstleistern, die durch die Digitalisierung stark erleichtert wurde. “ So lautet eine kurze Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, wie sie Saner als Apotheker aus nächster Nähe miterlebt.

Eine wichtige Hürde, die es generell in der Pharmabranche zu nehmen gilt, trägt den Namen digitale Kompetenzen. Diese müssen laut unserem Experten zweifelsohne aufgebaut werden, denn damit gleichbedeutend ist ein Bewusstsein dafür, was Digitalisierung überhaupt ist und in welchen Arbeitsbereichen sie unterstützend sein kann. Ein solcher Schritt sei möglichst gemeinsam mit dem eigenen Team zu gehen, sodass ein modernes Arbeitsumfeld auch effektiv genutzt würde: “Diese Kompetenzen sind erforderlich, um Ideen aus dem Bereich der Digitalisierung auch nachhaltig erfolgreich umsetzen zu können”, führt Saner weiter aus.

Ein Beispiel ist ein Projekt aus den frühen 2000-er Jahren, bei dem Saner selbst mitwirkte. Es sollte ein Pilotprojekt für die erste digitale Apotheke der Schweiz aufgebaut werden, erinnert er sich an die Zeit vor circa 20 Jahren. 

„Daran erkennt man, dass Apotheken eigentlich seit rund 20 Jahren auf dem Weg der Digitalisierung sind.“

 “Mit unseren eigenen Apotheken gingen wir erst vor etwa 5 Jahren strategisch an das Thema heran und stellten eine Analyse auf”, erklärt Saner. Die Modernisierung der eigenen Website identifizierten Vater und Sohn als erste Aufgabe, die nicht allein der Tatsache geschuldet war, dass ein nahbarer digitaler Auftritt für Kunden und Kundinnen entscheidend zur Customer Experience beiträgt. Während die neue Website in der Folge gut bei ihren Besucher:innen ankam, funktionierte der implementierte Online-Shop weniger erfolgreich. Mitverantwortlich sieht Saner die erwähnte Struktur im Gesundheitswesen sowie die Rahmenbedingungen, die derzeit in der Schweiz herrschen. 

Bessere Vernetzung von Apotheken führen zu besserem Angebot

“Einer der Schlüssel dazu, dass neue Angebote besser angenommen werden, sehen wir in der Vernetzung innerhalb des Gesundheitswesens.” Während es bei Ärzten üblich ist, dass sie fachgebietsübergreifend vernetzt sind, beschränken sich Apotheken stark auf die eigene Fachgruppe. “Für den Patienten mit gesundheitlichen Problemen oder Fragen wäre eine Begleitung entlang des Lösungsweges ideal”, kritisiert Saner.

Doch dazu müssten Apotheken enger an andere Mitspieler im Gesundheitswesen angeknüpft sein und sich mit diesen austauschen können. “Die sogenannte Patient-Journey wird wohl in den kommenden Jahren nach und nach digitalisiert und durch zusätzliche Angebote erweitert werden”, ist sich Saner sicher. 

Daraus können neue Angebote entstehen, wie zum Beispiel medizinische Beratung, Workshops zu gesundheitlichen Themen und vieles mehr, wie sie Saner in den eigenen Apotheken teilweise bereits heute anbietet. Das Potenzial schien und scheint in diesen Bereichen enorm, allerdings ging der Fokus aufgrund der Pandemie in den letzten Jahren in Bezug auf digitale Angebote etwas verloren, was sich insofern zeigte, als dass die Weiterentwicklung dieser Angebote etwas ins Stocken geriet. Und dennoch: Die aufgeführten neuen digitalen Möglichkeiten wurden in Saners Kundenstamm äußerst positiv angenommen – dazu ein Beispiel: 

“Wir konnten insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Medicosearch unsere Effizienz in der Teststrategie während der Coronapandemie stark verbessern. Online-Terminbuchungen wurden so zum Erfolgsfaktor. Während wir in den Anfängen für die Abwicklung eines Schnell-Tests noch rund 15 Minuten benötigten, konnten wir diese Zeit um etwa 80 Prozent auf 3 Minuten optimieren.” 

“In der Pandemie haben wir tatsächlich das erste Mal klar gespürt, was Digitalisierung wirklich bedeutet und zu leisten imstande ist.“

Pandemie Covid-19 in Rot auf weißem Hintergrund

Laut Experte Saner ist das ein eindeutiges Argument dafür, dass Digitalisierung nicht nur den Unternehmen, den Dienstleistern und Apotheken nützt, sondern auch echten Mehrwert für Kund:innen und Patient:innen schaffen kann. 

Feedback bestätigt die Entwicklung hin zur Online Apotheke

Den Mehrwert, den diese Digitalisierungsangebote für Kund:innen erzeugte, konnte Saner bereits nach kurzer Zeit deutlich am hohen Rücklauf erkennen. “Nach anfänglicher Skepsis konnten wir – nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Intensivierung – die Akzeptanz des Online Angebotes steigern. So haben wir unter anderem Schnell-Tests über Online-Buchung um 32 EUR angeboten, während diese über analogem Wege 42 EUR kosteten.”

Die Möglichkeit, die Akzeptanz durch die preisliche Gestaltung zusätzlich fördern zu können, erwies sich als erfolgreich: “Mehr als 80 Prozent jener, die den digitalen Weg nutzten, hatten keinerlei Schwierigkeiten damit, selbst in der Zielgruppe der über 75-Jährigen verlief die Abwicklung überraschend gut”. Auch andere, teilweise neue digitale Angebote, möchte Saner aufgrund dieses positiven Erlebnisses mit in die Entwicklungsstrategie aufnehmen.

Meilenstein: Medikamentenlieferung über Online Apotheken

“Eines dieser zukünftigen Angebote sehe ich klar bei der Medikamentenlieferung”, ist sich Saner sicher. Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt das enorme Potenzial, das die Schweiz hier derzeit noch ungenutzt liegen lässt. Während in Deutschland mehr als 50 % der Medikamentenlieferung nach Online-Bestellung erfolgt, ist der Anteil hierzulande noch extrem gering. 

“Das liegt ohne Zweifel an den rechtlichen Rahmenbedingungen, die es dafür erst zu schaffen gilt”, kritisiert Saner. Erst wenn hier alle Richtlinien und Verordnungen im Gesundheitswesen entsprechend auf Kurs sind, kann dieser Meilenstein erreicht werden. Saner zufolge ist hier viel mehr mit einem deutlichen Schub als einem schleichenden Anstieg zu rechnen, da der Prozess den Menschen bereits aus anderen Branchen sehr vertraut ist. 

Die Zukunft gehört der Online-Apotheke 

“Ich bin sehr optimistisch, dass der Nachholbedarf, der sich die letzten zwei Jahrzehnte in den Schweizer Apotheken aufgebaut hat, in den kommenden Jahren umso rascher wieder abgebaut wird”, wagt Saner erneut den Blick in die Zukunft. Die erleichterte digitale Vernetzung mit anderen medizinischen Dienstleistern, Schnittstellen und Infrastrukturen, wie  für das elektronische Patientendossier (EPD) oder das E-Rezept sind bereits stark auf dem Vormarsch. Apotheken scheinen generell angesichts der Erfolge, die sie mit der Digitalisierung in den vergangenen rund zwei Jahren hatten, offen für neue Entwicklungen zu sein; was sich sicherlich nicht nur Dominik Saner erhofft, sondern ein ganzer Unternehmenszweig der Pharmabranche in der Schweiz. 

 

Wir bedanken uns bei Dominik Saner für das Gespräch, seine Expertise und die Einblicke in die Zukunft der Schweizer Apotheken, die er in Kooperation mit Medicosearch selbst vorantreibt und so aktiv mitgestaltet. 



Titelbild von Tbel Abuseridze. Weiteres Bild von Volodomyr Hryshchenko.